Bezeugendes Zeigen. Zur testimonialen Struktur des Bildes

Das Projekt verdankt sich der grundlegenden Intuition, dass Sinn nicht primär von uns, sondern durch andere(s) gestiftet wird. Was im Kontext aktueller Gesellschafts- und Wissenschaftstheorien als Konsens gilt, war indes im Rahmen einer vorherrschenden geistesgeschichtlichen Tradition nicht immer selbstverständlich: als authentisch gilt lediglich Wissen aus erster Hand. Die leitende Hypothese des Projekts ist dagegen, dass Bilder als Medien von Wissen in privilegiertem Maße dann zum Einsatz kommen, wenn Erkenntnis aus Eigenkraft an ihre Grenzen stößt. Eben dort, wo die Dinge weder durch reines Denken noch durch sinnliche Wahrnehmung gegeben sind, bedarf es einer stellvertretenden Vermittlung. Diesen Einsatzort teilen sich Bilder mit Zeugen: Zeugen werden da in den Zeugenstand gerufen, wo in einem Verfahren etwas in Erfahrung gebracht werden soll, was weder durch Deduktion noch durch eigene Anschauung zugänglich ist.
Vorliegendes Projekt fragt danach, was es heißt, Bildlichkeit nicht mehr am Leitfaden der Repräsentation, sondern am Leitfaden des Testimonialen zu denken. Die testimoniale Dimension impliziert, dass der Zeuge zugleich stets in eigenem Namen spricht, nicht aber über sich, sondern um gleichsam über sich hinaus auf anderes zu verweisen. Ihre Glaubwürdigkeit belegen Zeugen dadurch, dass sie mit ihrer eigenen Körperlichkeit einstehen, sie bezeugen vielmehr an sich selbst, warum sie auf anderes zu zeigen legitimiert sind. Bildliche Legitimität nach dem Modell der Zeugenschaft zu denken heißt dann auch, ihre Episteme als stets prekäre zu akzeptieren. Bilder wären dann weder bloß heteronome Spuren bzw. Engramme, noch wären sie aus einer arbiträren Setzung hervorgegangene Artefakte, sondern stellen bestimmte (nämlich testimoniale) Artikulationen dar, die abwesende Sachverhalte je singulär - und damit notwendig partiell - zum Ausdruck bringen.